Diego Minciacchi:
 
Mentre noi corravam la morte gora
(Dante, Divina Commedia, Inferno, VIII, 31)
Parte Seconda - Emilio Villa 1998


.Das Projekt geht auf die Idee zurück, mit Mentre noi corravam la morte gora (der Titel ist einem Dante-Vers entnommen) ein Klangobjekt von spezifisch italienischer Bedeutung zu schaffen. Der Rückgriff auf die italienische Literatur erfolgt dabei in einer Weise, die den soziokulturellen Aspekt hervorhebt. Die menschliche Stimme bringt Gefühle sehr direkt zum Ausdruck, sie verbindet Worte, die aufgrund ihres eigenen Wertes ohne kulturbezogene Bedeutung verstanden werden können (wie instrumentale Ausdrucksweisen). Sie verbindet somit semantische Bedeutung mit phonetischem Ausdruck. Daher dominiert die menschliche Stimme in Mentre noi corravam la morte gora über anders erzeugte Klänge. (Diese Klänge habe ich selbst mit traditionellen Instrumenten aufgenommen oder meinem persönlichen Archiv mit Reiseaufnahmen und konkreten Klängen entnommen.)

Um den soziokulturellen Inhalt zu bewahren, habe ich Texte gewählt, die von konkreterer Bedeutung sind. Ich entschied mich für Ausschnitte aus Werken von drei italienischen Poeten unseres Jahrhunderts: Edoardo Cacciatore, Emilio Villa und Mario Lunetta. Sie sind alle drei nicht nur Dichter, sondern auch aktiv in anderen kulturellen Bereichen tätig. Cacciatore war Philosoph, Villa Bildhauer und Maler und Lunetta schrieb Novellen und Theaterstücke. Der zweite Teil des Werkes ist Emilio Villa gewidmet, der eine ganz besondere Stellung unter den moderneren italienischen Dichtern einnimmt. Er fertigte wichtige Übersetzungen aus dem Altgriechischen, dem Hebräischen und dem Sumerischen an. Seine eigene Dichtkunst wurde durch seine Kenntnisse alter und neuer Sprachen bereichert, und er schrieb nicht nur auf Italienisch, sondern auch auf Lateinisch, Portugiesisch, Französisch, Englisch und Altgriechisch. Aus seinen Texte wurden Bruchstücke verschiedener Länge verwendet (von ein paar Worten bis zu über einer Seite) und so angeordnet, daß der Weg dichterischer Tätigkeit in bezug auf sein kulturelles und soziales Umfeld erkennbar wird. Bei den Textaufnahmen bevorzugte ich Dichter und Literaturexperten, Personen also, deren Beruf der kreative Umgang mit Worten ist. Hauptziel bei der elektronischen Bearbeitung von Mentre noi corravam la morte gora war, die Verständlichkeit der Worte, Wortbruchstücke, Sätze und ganzer Texte durch Überarbeiten, Überlagern und Mischen so weit wie möglich beizubehalten. Für jeden Abschnitt des Stücks wurde ein eigenes strukturelles Verfahren entworfen, das bei den jeweiligen Texte auf allen erforderlichen Bedeutungsebenen eine Übereinstimmung mit dem Originaltext gewährleisten sollte. Bei Emilio Villa ist das Geschriebene linear und orakelhaft. Die linguistische Absicht des Autors wird auf einer unteren Ebene durch Prozesse elementarer grammatikalischer Funktionen sowie durch den Einsatz ethymologischer Anspielungen und translinguistischer Konstruktionen zum Ausdruck gebracht. Aus diesem Grund wählte ich für den letzten Text Gedichte auf Portugiesisch, Lateinisch und Italienisch – Sprachen, die also in enger Verbindung zueinander stehen.

Ich nahm Villas Texte auseinander und setzte sie wieder zusammen, wobei ich nur kleine Einheiten beibehielt und diese in einem akustischen Raum verteilte. Mit Villas Hilfe entwickelte sich mein Wort- und Klangkonzept auf der Grundlage des sakralen und apostrophierenden Charakters der Texte.

Sämtliche Klangbearbeitungen wurden digital in meinem eigenen Studio durchgeführt. Zum Einsatz kam dabei die Studer Dyaxis Macintosh -based post-production workstation.