Musik für ca. 16 Saiten

2. Konzert
Nomos-Quartett


HENNING CHRISTIANSEN:       
Wie weiter?
Worte nach Wyschnegradsky

Energie-Zellen, Klangkörper, Ausbrüche, so erfasse ich Wyschnegradskys Streicherwelt Die gleitenden Töne. Die Viertelton-Mystik höre ich als Suche nach elektronischen Klängen oder Vorläufer der Elektronik aber auch immer als menschlichen Energie-Auslöser, so ist die Wirkung auf mich. Keine langen Verläufe wie bei Schönberg und Bartók, jeder auf seine Art - auch nicht wie die superneuen tüchtigen Konservatorien- Quartette, die sich heutzutage mit Geschwebe und Raffinement mengen, alles supergekonnt - "Trivialliteratur" von oben gesehen. Wyschnegradsky dagegen schafft das Direkte trotz Vierteltonmystik. Mit .superguten Musikern bringt er Energieschwankungen hervor, die uns m Gang setzen, so dass wir an der erstickenden non-europäischen Klangforschungsperiode vorbeikommen und die Dynamik wieder in den Brennpunkt rückt - aber, wie weiter? So denke ich immer, wenn ich starke Musik höre oder willensstarke Malerei sehe - Wie weiter ? Wyschnegradskys Musik ist ein Punkt im Bewusstsein. Von da aus gehen "die Sätze" weiter, also Nach Wyschnegradsky nicht das Nachahmen, sondern die Entwicklung fortsetzen - große Ziele soll man haben. Nächstes Wort ist: Erweitern. Die europäische Disziplin: Streichquartett erweitern und damit unser geistiges Gebiet erweitern, um unsere Existenz zu bereichern. (Großmaul).

Wyschnegradsky hat seine Wurzeln in Russland, Petersburg. Soviel ich weiß, war er kein Gegner der Revolution, sondern hatte die alte russische Sehnsucht, nach Paris zu gehen, um dort zu wirken und zu leben. Trotz Theorien und Vierteltonstreben schreibt er sich frei wie ein Mussorgsky, seine Herkunft lässt sich nicht leugnen, die Energie ist da, Rimsky-Korsakow und Skrjabin bringt er mit. Ich als Nord-Mensch (Dänemark) bringe meinen Grieg mit. Ich zwinge Grieg zurück zur Natur, sowie Wyschnegradsky im Grunde auch die melodische Musik zurück zur Natur schickt. Seine Streichquartette haben Natur in sich sie verzichten auf melodische Konzertsaalanpassung (vergleichen wir mit Schostakowitsch und seiner Melodik). Griegs Peer Gynt-Suite (beliebt) habe ich mit Elektronik zurück zur Natur bombardiert und schicke ihn auf die Bühne als Erweiterung meines Streichquartetts, das von einer kleinen russischen Glocke in 10-Sekunden-Phasen gesteuert wird. Kairos und Schornos bringe ich zusammen (Space and Time totgehet). Ich diskutiere eifrig im Kopf, so wie viele andere Menschen, deswegen muss das Wort eine Rolle im Streichquartett spielen, die Musiker sollen unbedingt reden, es geht darum, das Existentielle beim Spielen bewusst zu machen. Es sind Menschen, die spielen, es sind nicht die Instrumente. Die Musiker sagen Worte, und ich verzichte nicht auf die Bedeutung der Worte, auch nicht auf die Klangfarben der Worte - sie sprechen Farbworte und Objekte/Begriffe zusammen - und öffnen sich - und öffnen für Existenz - auf der Bühne! - wie weiter?

Henning Christiansen


ISANG YUN: 3. Streichquartett (1959)

Das 3. Streichquartett ist nach dem Abschluss der Studien an der Hochschule für Musik in Berlin entstanden. Der zweite Satz wurde 1961 nachkomponiert. Das Werk ist dem Nowak-Quartett gewidmet, das beim Weltmusikfest der IGNM in Köln 1960 die Uraufführung des ersten und dritten Satzes spielte. Das Prager Ensemble musste damals ganz neue Spieltechniken einstudieren, die Yun in Erinnerung an die asiatischen Streich- und Zupfinstrumente seiner Heimat verlangte.

In seiner klanglichen Konzeption ist das Quartett ein Vorläufer der Orchesterstücke Bara, Symphonische Szene und Colloides sonores (für Streichorchester). Yun versucht, die Entwicklung verschiedener Klangtypen aufzuzeigen, die aus dem Amorphen entstehen, deutlichere Formen annehmen und sich dann wieder auflösen. Diese Klangtypen - in späteren Werken hebt Yun sie als "Haupttöne" deutlicher heraus - werden untereinander in Beziehung gesetzt, entweder als Kontraste oder in feinste Einzelteile aufgelöst und miteinander verschmolzen.


GYÖRGY LIGETI: 1. Streichquartett (Métamorphoses nocturnes) (1953/54)

Das 1. Streichquartett entstand 1953/54, unmittelbar nach den Sechs Bagatellen für Bläserquintett, und was ich über diese schrieb, gilt auch für das 1. Streichquartett. Jedoch lässt sich ein gewisser stilistischer Wandel zwischen den Bläserstücken und dem Streichquartett feststellen: Die wesentlich diatonisch-modale Sprache der Bagatellen wandelte sich in ein mehr chromatisches und weniger tonales musikalisches Idiom. Der Stil ist noch "prehistorischer" Ligeti, da meine ersten Schritte zur wirklichen Ligeti-Musik nach Vollendung des Quartetts in den Mitfünfziger Jahren folgten. Jedoch lassen sich in diesem Stück bereits einige Elemente des späteren Ligeti finden: einige Abschnitte mit dem Ticken einer Art unheimlicher Maschinerie und, besonders im vorletzten Abschnitt, statische, schillernde Klanggewebe. Dennoch ist die musikalische Sprache dieses Quartetts traditionell, in Bezug auf die tonalen Schwerpunkte oder Zentren in dem allgemein nicht-tonalen chromatischen Material, und besonders in Bezug auf das musikalische Denken in wohlgebildeten Themen, in motivischer Entwicklung und dem Bilden der Gesamtform mit den Mittel von Variation und Reprisen. Die Gesamtform des Stücks ist tatsächlich Variationen-ähnlich, obwohl es kein reales Hauptthema gibt, das variiert werden könnte. Stattdessen ist da ein motivischer Kern, der die Basis der melodischen und harmonischen Entwicklung jeder Variation darstellt: zwei aufsteigende große Sekunden im Intervall einer aufsteigenden kleinen Sekund. Da die Gesamtform keine reale Variationsform, sondern dieser nur angenähert ist, gab ich dem Stück den Titel "Metamorphosen", wobei das Adjektiv "nächtlich" den allgemeinen Charakter, die Stimmung des Ganzen andeutet. Die Metamorphosen des motivischen Kerns ergeben eine Folge von kontrastierenden Abschnitten, gewissermaßen kurzen Sätzen, die einander ohne Unterbrechung folgen. (Es gibt eine kurze Pause inmitten des Stücks, zwischen einer leisen und langsamen choral-artigen Sektion und einer stark kontrastierenden Walzer-Variation.) Die Folge kontrastierender Abschnitte wird stufenweise weniger klar bis zum Ende des Stückes, sie verwandelt sich stufenweise in eine Rondo-ähnliche Form mit einem unregelmäßigen Ritornell, das aus einer Transformation des originalen Motivkerns gebildet ist. So ist die Gesamtform nicht nur eine Folge von Variationen, sondern auch eine Art Entwicklungsform. Die beiden vorletzten Abschnitte sind die verrückte Maschine, ein wahnsinniges Prestissimo, und die oben erwähnte statische Textur; ihr folgt eine Reprise der melodischen Form der ersten "Metamorphose".

György Ligeti


JOHN CAGE: Thirty Pieces for String Quartet (1983)

Vier Stimmen ohne Partitur. Jeder Spieler übt allein. Bei der Aufführung sitzen die Musiker eher getrennt als zusammen, entweder ungeplant, oder in einem dem Publikum zugekehrten Bogen, oder in gleichmäßigen Abständen um das Publikum herum.

Die Stimmen sind aus drei verschiedenen Musikarten: tonal, chromatisch und mikrotonal komponiert, die mit Ausnahme der 'vib.' bezeichneten Stellen 'non vibrato' gespielt werden.

In den tonalen Passagen verbindet ein Bogen alle Noten; die Bogenführung ist eingezeichnet. Wenn ein Ton nicht auf einem einzigen Bogenstrich gespielt werden kann, soll der verbleibende Teil des Tones durch Stille dargestellt werden, als dass ein Bogenstrich in entgegengesetzter Richtung eingesetzt würde. Jede tonale Passage weist einen einzigen dynamischen Wert auf, und so wird eine gemeinsame Probe die 'Balance' dieser Passagen ergeben.

Die chromatischen Passagen gleichen denen der 'Freeman Etudes'. Für sie gibt es folgende Anweisung in den Stimmen: die Töne, die - manchmal auch simuliert - 'legato' gespielt werden sollen, sind mit Bögen gekennzeichnet. Die Notation ist proportional: gleich Abstände entsprechen gleichen Dauern.

Die mikrotonalen Passagen sind immer taktgebunden (4/4-, 5/4- und 6/4-Takt). Sie sind immer 'mp' auf der tieferen Note und 'pp' auf dem Oberton. Die letzten Noten jeder Passage bestehen aus einem Ton und seiner Wiederholung und besitzen mit einer Ausnahme eine Dauer, die länger oder kürzer als eine Viertelnote ist. Die Abweichung von der Viertelnote (515) wird durch den Wert unter der ersten dieser beiden Noten angegeben.

Von den Spielern können Teile fortgelassen werden, wenn dies dem Publikum angekündigt wird oder ein entsprechender Hinweis in das Programmheft aufgenommen wurde.

Eine Aufführung soll nach einer vorher verabredeten Zeit (z.B. 30 Minuten) und nicht auf ein Signal hin enden.

John Cage Thirty Pieces for String Quartet
(Vorwort der Partitur)

Ein im Programmbuch folgender weiterer Text von Klaus Ebbeke kann hier nicht veröffentlicht werden!

zurück