BROKEN MUSIC:
Schallplatten und Schallplattenobjekte von bildenden Künstlern

Der Titel BROKEN MUSIC ist bei Milan Knízák geborgt. Wir haben ihn gewählt, weil wir glauben, dass er einen wesentlichen Punkt der Auseinandersetzung trifft.

1965 begann ich, Schallplatten zu zerstören: sie zu zerkratzen, Löcher in sie zu bohren, sie zu zerbrechen. Indem ich sie wieder und wieder abspielte (was die Nadel und oft auch den Plattenspieler ruinierte), ergab sich eine völlig neue Musik - unerwartet, nervenaufreibend und aggressiv; Kompositionen, die nur eine Sekunde oder (wenn die Nadel an einem tiefen Kratzer hängenblieb und dieselbe Stelle wieder und wieder spielte) unendlich lange dauerten.

BROKEN MUSIC zeigt Arbeiten bildender Künstler, die mit dem und für das Medium Schallplatte entstanden sind.

Nach kleineren Ausstellungen zu diesem Thema (Germano Celant stellte 1977 "The Record as Artwork" zusammen, die gelbe Musik zeigte 1986 "Künstlerschallplatten", 1988 fand in New York "Extended Play" statt) präsentiert BROKEN MUSIC zum ersten Mal die ganze Komplexität der verschiedenen Formen im Umgang mit dem Medium. BROKEN MUSIC erläutert an Hand der Schallplatte die Zusammenhänge und Wechselbeziehungen zwischen bildender Kunst und Musik. Diese drücken sich nicht allein darin aus, dass Künstler wie Jean Dubuffet, Dieter Roth und André Thomkins ihre musikalischen Versuche aufgezeichnet haben, oder dass Richard Hamilton, Tomas Schmit, Robert Rauschenberg und Andy Warhol Plattencover konzipiert und gestaltet haben, sondern auch dass Künstler den Objektcharakter der Schallplatte isolieren und in diesem Objekt neue ungeahnte Klänge entdecken. Den nächsten Schritt vollziehen die Künstler, die die Schallplatte ausschließlich als plastisches Material (mit akustischen Informationen natürlich) begreifen und stumme Skulpturen realisieren.

Der Katalog BROKEN MUSIC will einerseits ein Lexikon sein, das alles verfügbare Material zum Thema abbildet und beschreibt, er versucht andererseits, mit Originalaussagen bildender Künstler die wichtigsten Positionen zu belegen.

Dubuffets Text beispielsweise ist ein lebendiger Erfahrungsbericht über seinen Umgang mit Klangmaterial. Er erstellt seine Kompositionen durch Übereinanderschichten einzelner Klangebenen und zwar mit einfachsten technischen Mitteln. Interessant ist, dass er auf eine mögliche Perfektionierung der Aufnahme verzichtet. Seine sozusagen handgestrickten Ergebnisse entsprechen viel eher seiner musikalischen Vision.

... einerseits strebe ich nach einer sehr menschlichen Musik, in der sich die Stimmungen eines jeden ausdrücken sollen, seine Bewegungen und die Beweggründe; eine Musik mit den Tönen, in denen wir baden, die als ganz normale Geräuschkulisse unser aller Leben begleiten und schmücken, alltägliche Töne, mit denen wir leben, mit denen wir uns so verbunden fühlen, und die uns wahrscheinlich, ohne dass wir es vermuten, lieb und unentbehrlich geworden sind. Zwischen dieser ständigen Begleitmusik, die uns trägt, und der eigentlichen Musik, die wir hinzufügen, findet eine Osmose statt; alles ist eins, um es einmal so auszudrücken, und das Ganze ist eben die spezifische Musik des menschlichen Wesens. In meinem tiefsten Inneren bezeichne ich diese gerne als die Musik, die man macht, im Gegensatz zu der anderen Musik, die man anhört und die mich auch sehr beschäftigt.

Mit dem Abdruck eines frühen Textes von Moholy-Nagy wollen wir die historischen Wurzeln aufzeigen. Die Schallplatte, 1923 eine aufregende technische Neuheit, veranlasste den Künstler schon damals zu Überlegungen, sie nicht nur als reproduzierendes, sondern als produzierendes, d.h. kreatives Mittel einzusetzen. Er glaubte an die Möglichkeit einer originalen Schallplattenmusik.

Ich schlug vor, aus dem Grammophon als aus einem Reproduktionsinstrument ein produktives zu schaffen, so dass auf der Platte ohne vorherige akustische Existenzen durch Einkratzen der dazu nötigen Ritzschriftreihen das akustische Phänomen selbst entsteht.

50 Jahre später formuliert John Cage eine ähnliche Forderung, nämlich "kreativ mit dem Medium umzugehen". Sein kreativer Ansatz besteht darin, den nur rezipierenden Hörer in einen aktiven Mitspieler zu verwandeln. Sein Stück 33 1/3 für 12 Plattenspieler stellt 12 Mitspielern eine reiche Auswahl an Schallplatten zum kompositorischen Spiel zur Verfügung. Aus vorhandenem Material entsteht etwas Neues, genau wie Knízák mit konkretem musikalischen Material eigenschöpferisch komponiert - hierzu ein Hörbeispiel auf der dem Katalog beiliegenden Flexidisc.

BROKEN MUSIC zeigt in der daadgalerie eine repräsentative Auswahl von Arbeiten zum Thema: Schallplatten, Schallplattenhüllen, Schallplattenobjekte, Zeichnungen und Entwürfe. In einem Raum mit der Installation von John Cages 33 1/3 können die Ausstellungsbesucher ihre eigenen Vorstellungen von Schallplattenmusik realisieren. Andere raumbezogene Arbeiten von Christian Marclay und Piotr Nathan sind zu sehen. Die Ausstellung wird im Sommer 1989 vom Gemeentemuseum Den Haag und vom Magasin in Grenoble übernommen.

Ursula Block / Michael Glasmeier