haben komponisten oft zum wort gegriffen, wenn ihnen die musik für das, was sie "sagen" wollten, nicht mehr reichte (man denke an die neunte symphonie von beethoven, die zweite und achte von mahler oder die erste von skrjabin), so gerate ich von der sprache zur musik, wenn mir das wort für das, was ich zum ausdruck bringen möchte, zu eng, zu begrenzt erscheint - parallel dazu vom schreiben zum gestischen zeichnen. so sind auch meine textmusiken oder "tondichtungen", wie ich sie im buchstäblichen sinne verstanden nenne, auch - nicht nur - auseinandersetzungen mit grenzbereichen der sprache und allgemein des ausdrucks, versuche, etwas über die wortsprache hinaus zum ausdruck zu bringen, was ja in gewissem grade schon die reine lautdichtung angestrebt hat und mit immer differenzierteren mitteln (zum beispiel den technischen möglichkeiten des modernen tonstudios) weiter anstrebt. scheerbart, krutschjonych, hugo ball und andere mehr sind aus bedenken gegen die durch alltäglichen gebrauch entwertete sprache schon früh zu einer "reinen" lautdichtung gekommen, ja schon novalis hat von ihr geträumt. hier vollzieht sich letztlich eine sublimierung der sprache in musik, vielleicht auch eine des rational begrenzten, des definierten oder definitiven ins vieldeutige und zugleich feiner differenzierte, ins prozessuale, die verwandlung des bloss repräsentierenden in präsentation: die entdeckung des körpers, die versinnlichung des zeichens - das ist der poetische und ganz allgemein ästhetische akt par excellence.
starke emotionale beteiligung am sprechen verwischt die grenze zwischen zeichen und bedeutung - das wort wird klingender ausdruck des gemeinten. das phonetische material reizt zur ausdrucksgebung bis hier zur emotionalen identifikation mit dem "wortlaut", emotionale beteiligung färbt die bedeutung und das klangbild eines wortes beziehungsweise satzes in entsprechender weise. das wort "trauer" wird im tonfall anders ausgesprochen als das wort "freude". sprechweisen, die solchermaßen den bedeutungsinhalt der worte vermitteln wollen (ob bewusst oder unbewusst), kann man lautgesten nennen. lautgesten und sogenannte "malende charakteristik" bilden die physiognomischen momente der stimmgebung phylogenetisch und ontogenetisch älter als die zeichensprache. musik und sprache scheinen demnach hier eine gemeinsame wurzel zu haben. ich spreche übrigens auch bei der handschrift und der zeichnung von physiognomie, nämlich der des strichs, wobei zwischen gegenständlicher und ungegenständlicher zeichnung nicht mehr prinzipiell, sondern nur graduell unterschieden wird. der übergang zwischen gegenständlicher und ungegenständlicher kunst ist ebenso fließend geworden wie der zwischen sprache - wenn man darunter auch lautsprachliche äußerungen versteht - und musik. das sprachliche äquivalent zur musik ist ja eigentlich nicht die pragmatische, also zweckgerichtete erscheinungsform der sprache, sondern die künstlerische, die poesie, die sich keineswegs den logischen regeln der sprache, die einer möglichst reibungslosen nutzanwendung dienen, unterwerfen muss. die bedeutungsebene und das gemeinte konkreter und phonetischer poesie ist aber noch immer zu wenig untersucht worden, was am literarischen konservativismus der meisten sprach- und besonders literaturwissenschaftler liegt. jedenfalls würden solche untersuchungen das verhältnis sprache-musik von einer neuen seite beleuchten.
bei der verschmelzung von sprache und musik kommt etwas zustande, was weder sprache noch musik für sich allein zu leisten vermöchten - vielleicht könnte man es, in einem neuen sinn, von der einen seite her als "metasprachliches", von der anderen seite her als "metamusikalisches" bezeichnen.
nur ist überraschender weise der sprachcharakter von musik wieder durchaus umstritten; ernstzunehmende autoren haben ihn in neuesten publikationeen prinzipiell geleugnet. wenn für diese generalisierende meinung auch kluge argumente vorgebracht werden, so vermisst man die auseinandersetzung mit einigen gewichtigen punkten, die dafür sprechen. zuerst einmal sind zeichensysteme übertragbar. die bedeutung der sechsundzwanzig buchstaben, die ja mit der form dieser einzelnen grapheme unmittelbar kaum etwas zu tun haben, kann beliebig anderen zeichen, farben, dingen, gesten und schallereignissen zugewiesen werden, also auch musikalischen tönen. meine musiktexte oder "tondichtungen" nützen die möglichkeit der transformation von zeichen, indem sie buchstaben bestimmten tönen zuordnen, wobei silben zusammenklänge bilden können, und so texte rein instrumental zu gehör bringen (auch in meinen melodramen verwende ich meist diese "transformationsmethode"). wenn es sich dabei in solcher konsequenz um musikalische ausnahmeerscheinungen handelt und die zugrundeliegenden worte vom hörer im einzelnen gar nicht verstanden werden wollen, wäre dies - zumindest in einigen durchschaubaren fällenbei kenntnis und beherrschung des zuordnungsschlüssels grundsätzlich durchaus möglich. unter solcher voraussetzung kann also auch musik im engen sprachlichen sinn "verstanden" werden.
ein zweiter punkt, dem keinerlei beigeschmack des womöglich kuriosen anhaftet, betrifft den mitteilungscharakter von lautgesten, den musikalischen parametern gesprochener sprache überhaupt, wie sie sich in sprechmelodie, phrasierung, rhythmus, tempo, dynamik und klangfarbe manifestieren. sie sind bekanntlich unmittelbar ausdruckshaltig und sagen etwas über person und gestimmtheit des sprechers aus. damit ist die sprechstimme der handschrift verwandt, die - wie die sprechstimme der musik - der zeichnung ein ganzes arsenal differenzierter ausdrucksmerkmale bietet, die zugleich schlüssel zu ihrem verständnis sind, wenn man sie annimmt und zu gebrauchen weiß. ich habe in allen mir bisher bekannt gewordenen musikpsychologischen publikationen ein erstaunliches defizit an auseinandersetzung mit sprechpsychologischen erkenntnissen festgestellt. erstaunlich, weil man sich doch bei der interessanten fragestellung, was eigentlich an musik verstanden wird, zuerst einmal ihrem ursprung, also der menschlichen stimme, zuwenden müsste, sollte man meinen.
tatsächlich finden sich viele ausdruckscharakteristika und typische sprechgesten der menschlichen stimme in musik - wenn auch nicht in jeder - getreulich wieder. man könnte musik geradezu als oft bis zum extrem übersteigerte rede definieren. hält man die sprechstimme meist im rahmen einer oktave, so breitet sich die musik über mehrere oktaven aus, zerdehnt oder beschleunigt das sprechtempo bis zum äußersten, differenziert oder vereinfacht den rhythmus, repetiert partikel und dehnt die lautstärkeskala bis zu hörphysiologischen (und -psychologischen) grenzwerten aus, steigert die sinnlich oder ängstlich zitternde stimme zum tremolo. erinnert sei noch an die anhebung der tonhöhe bei der frage, die bei allen völkern der erde nachzuweisen ist. der frageton scheint eine sprachliche "urgeste" der menschheit zu sein. die gliedernde bedeutung des fragemotivs in der musik, und nicht nur der tonalen, bedarf keiner weiteren erläuterung. behauptende sätze hingegen senken sich stimmlich am ende, schließen ab. auch hierzu ist die entsprechende musikalische geste nur allzu bekannt. musik hat (oder gewinnt hörpsychologisch) im allgemeinen einen mehr oder weniger ausgeprägten gestischen duktus; je ausdrucksstärker musik ist, umso deutlicher artikuliert er sich, auch wenn die gestik - verglichen mit der der sprechstimme - auffallend gesteigert erscheint. wenn ich musik von schönberg höre (ich denke beispielsweise an sein violinkonzert), habe ich immer wieder den eindruck, die musik nähere sich so sehr der sprachgrenze, dass sie jeden augenblick in worte ausbrechen, in sprechen umschlagen müsse - für mich ein teil des faszinosums dieser musik. es wäre gewiss interessant und lohnend, den lautgestischen entsprechungen zwischen rede und musik in einer speziellen untersuchung ausführlich nachzuspüren.
noch eine dritte, wenn auch unauffälligere beziehung zwischen musik und sprache möchte ich wenigstens andeutungsweise erwähnen, nämlich die botschaft, die eine bestimmte form vermitteln kann. ich beziehe mich damit auf meine "klangmodelle", bei denen es, allgemein gesagt, um akustische versinnbildlichungen gewisser vorstellungen und prozesse geht. der terminus "modell" steht dabei für die reduktion des musikalischen geschehens auf die denkbar schlüssigste form. die "klangmodelle" sind nicht komponierte musik im traditionellen sinn, sondern eher "minimalistisch" formulierte ideen; man könnte sie auch als "konzeptionelle musik" bezeichnen. vielleicht gilt überhaupt für musik, dass ein stück umso deutlicher modellhafte züge gewinnt, je konstruktiver und dabei knapper seine form ist. in der tonalen musik wären dafür treffende beispiele die etüden von carl czerny, wenn man sie nicht als bloße fingerübungen hört, sondern als "absolute" musik, als reine "tonale funktionsspiele" - in ähnlichem sinn wie josef matthias hauers "zwölftonspiele". jene meiner klavierstücke, die ich programmatisch "klangmodelle" nenne, lassen sich etwa mit streng geometrischen bildern vergleichen und sind so geradezu ein musikalischer gegenentwurf zu den eher sprechgestischen textmusiken oder "tondichtungen"; ihr sprachmoment - von mehr sollte man hier wohl nicht sprechen - liegt in der lapidaren sinnbildlichkeit der musikalischen konzeption, bezogen auf den jeweiligen titel. dieser hat hier eine ähnlich richtungweisende funktion wie gelegentlich in einer nicht gegenstandsfixierten kunst, die gleichwohl vage gegenständliche assoziationen zulässt oder sogar provoziert - zahlreiche beispiele dafür wären nicht zuletzt in meinen eigenen zeichnungen zu finden.
bei meinen poetischen arbeiten unterscheide ich zwischen lese- und hör texten. warum sollte man nicht auch zwischen lese- und hörmusik unterscheiden? carl dahlhaus bestätigt in seinem aufsatz "Musik als Text": "Jedenfalls ist eine musikalische Lesekultur prinzipiell vorstellbar; Tendenzen, die in die Richtung zielen, zeichnen sich ab."
meines wissens hat dieter schnebel mit seinem buch "MO-NO" als erster konsequente lesemusik produziert. die inzwischen allgemein bekannt gewordene sogenannte "grafische musik" wendet sich ja noch durchaus an interpreten, wenn sie ihnen auch maximale entscheidungsfreiheiten einräumt; sie spekuliert jedenfalls darauf, aufgeführt zu werden. meine "visuelle musik" hat dagegen einen ganz anderen ansatz. sie ist primär zeichnung und vertraut damit auf die spezifischen ausdrucksqualitäten des strichs beziehungsweise punkts und deren musikalischer assoziierbarkeit - also auf die emotionale allgemeinverbindlichkeit und damit nacherlebbarkeit der geste. das phänomen der immer noch überwiegend benutzten traditionellen notenschrift als umsteigeplatz vom komponisten zum interpreten, zwischen komposition und klingendem werk, wird in seiner merkwürdigkeit deutlicher, wenn wir uns einen maler ungegenständlicher bilder in der rolle des komponisten vorstellen. er entwirft ein bild, führt es aber nicht selbst aus, sondern verfasst möglichst genaue fertigungsangaben für einen "interpreten", der dann feinere nuancen, die kaum noch beschreibbar sind, selbst bestimmt. für die meisten maler wohl eine höchst frustrierende vorstellung. das faszinierende an der improvisation besteht für den musiker sicher zum großteil in der unmittelbaren wechselwirkung von impuls und klang. in meiner "visuellen musik" ist das problem aufgehoben durch den fortfall der dritten instanz. das instrument ist hier sozusagen die notation selbst: der bleistift (griffel) auf dem papier. ohne erhebliche verzögerung registriert er wie ein seismograph jede kleinste regung. ähnlich also wie "visuelle poesie" ausschließlich zum sehen bestimmt ist, soll auch "visuelle musik" mit den augen wahrgenommen werden und nur im "inneren" ohr - synoptisch - akustische vorstellung wecken. die vorgegebenen notenlinien suggerieren dabei, dem zeichenvorgang konform, einen zeitlichen verlauf, eine· "lese"-richtung - was nicht ausschließen soll, dass man das blatt auch als ganzes auf sich wirken lassen kann - und lenken die assoziationen beim betrachten der zeichnung in musikalische bereiche.
schließlich möchte ich noch eine besondere art "visueller musik" erwähnen, die das klangbild nicht der imagination überlässt, sondern auf ungewöhnliche weise wieder konkret ins spiel bringt: meine "bleistiftmusik" (ein demonstrationsobjekt ist als schachtel mit tonbandkassette und dias in einer kleinen auflage erschienen). 1976, als ich meist nachts bei fast völliger stille zeichnete, wurde ich zum erstenmal auf die differenzierten geräusche aufmerksam, die der bleistift auf dem papier und der resonierenden tischplatte verursachte. ein vielfältiges, zum teil von der handschrift abgeleitetes repertoire von weich gezogenen bis hart geschlagenen strich- und punktformen erzeugte eine karge, wiewohl erregende "musik". die geste hinterließ zugleich mit der strich- auch eine schallspur. ich begann, die neuentdeckten akustischen "abfälle" des zeichenprozesses auf tonband festzuhalten und mir später als selbständige produkte gesondert oder beim mitlesenden betrachten der dabei entstandenen zeichnungen anzuhören. der partiturhafte aspekt dieser (und vielleicht aller ungegenständlichen) zeichnungen, die ich tendenziell als seismogramme innerer und entsprechend äußerer bewegung sehe, wurde mir so erst richtig bewusst. die posthume ablesbarkeit des akustischen ereignisses vom grafischen objekt überraschte mich, und eine partielle unsicherheit bei der zuordnung von zeichen und schallphänomen (etwa durch die offenheit der leserichtung) scheint mir den reiz der zusammenschau noch zu erhöhen. das bleistiftgeräuschstück blieb nicht immer nur das nebenprodukt eines dominierenden zeichenprozesses; oft wirkte die eigendynamik des schallverlaufs auf den fortgang der zeichnung zurück und bestimmte ihn entscheidend mit. die bezeichnung "bleistiftmusik" kann in einem übertragenen sinn für eine größere gruppe meiner zeichnungen verstanden werden; er mag dazu anregen, bewusster auch auf das allgemein musikalische an ihnen zu achten und so den sinn für das synästhetische der erscheinungswelt zu sensibilisieren.