INVENTIONEN'85      
Beitrag Tim Souster


TIM SOUSTER:
ELEKTROAKUSTISCHE MUSIK IN GROSSBRITANNIEN

Die Entwicklung der elektronischen Musik in Großbritannien ging äußerst langsam voran. Obwohl es hervorragende Ensembles, Orchester und Solisten gibt (die nicht notwendigerweise Feinde der zeitgenössischen Musik sein müssen), steht die elektronische Musik weit hinter einem scheinbar so "unterprivilegierten" Land wie Polen zurück.
Der Grund dafür ist der extreme Konservativismus des "wirklichen" britischen Establishments. Es braucht viele Jahre, um dieses zu ändern, und daher hinkt die Hauptentwicklung auf dem Gebiet der neuen Musik rund 20 Jahre hinterher. Wenn der Komponist Glück hat, erfährt er im Nachhinein eine Kanonisierung. In der Zeit aber, in der er oder sie die Werke schafft, ist Unverständnis die Regel. Erst heute, Mitte der achtziger Jahre, werden die traditionellen Techniken der elektronischen Musik und besonders der musique concrète als legitime musikalische Quellen angesehen. Erst jetzt wird die Musik der späten fünfziger und der sechziger Jahre rezipiert.
Es nimmt so kaum Wunder, dass es an den Möglichkeiten, die ein elektronisches Studio auf dem Kontinent (selbst noch in den wirtschaftlich so schwierigen achtziger Jahren) normalerweise aufweist, in Großbritannien mangelt. Elektronische Quellen dienen nur zu folgenden musikalischen Vorhaben:

In allen anderen Fällen finden sich elektronische Unternehmungen innerhalb der Universitäten oder bei einigen verzweifelten "Selbständigen", die entschlossen sind, überhaupt etwas außerhalb der Restriktionen der formalisierten Studios zu tun.
Das United Kingdom steht dadurch, dass es nichts hatte, was einem nationalen Studio vergleichbar wäre, einzig in Europa da. Die meisten Komponisten sind so gezwungen, ins Ausland zu gehen, oder sich in den streng reglementierten Studios Zeit zu erschleichen.
Es gibt vergleichsweise gut ausgestattete Studios der unterschiedlichsten Art in York, Durham, Norwich, an der City University in London und in Cardiff; nirgendwo aber findet sich eine Spitzenforschung, wie man sie in den USA, im Fernen Osten oder im übrigen Europa beobachten kann. Die Komponisten im United Kingdom sind Reisende geworden, die von einem zum anderen Zentrum fahren, um nach Ideen zu suchen, die sie dann zu Hause zu einer neuen Einheit formen.
Besonders erfolgreich ist hierbei Denis Smalley, der Material aus Kanada und Finnland zusammentrug, um es dann in "seinem" Studio an der University of East Anglia zu verarbeiten. Die Stärke dieses Studios sind eher seine außerordentliche technische Qualität und die Vielfalt von Aufnahme- und Abmischmöglichkeiten als Einrichtungen zur Klanggenerierung. Andere Universitätsstudios sind entweder von importierten Musiksprachen (Music 11 in Durham) oder von ähnlich organisierten Instrumenten wie dem Fairlight-CMI oder dem Synclavier abhängig. Als unabhängiger Komponist, der keinerlei regelmäßige Zuwendungen erhält, bin ich darauf angewiesen, ins Ausland zu gehen, um mit einem großen System (Stanford, IRCAM) arbeiten zu können, oder mein eigenes "Heim"-System weiterzuentwickeln. Und so enthält meine Gartenlaube in der Tat eines der besser ausgerüsteten Studios in diesem Land.
Jedoch garantiert diese Ausrüstung nichts. Die Musik, die damit hervorgebracht wird, kann sowohl gut als auch schlecht sein. Ich bin allerdings der festen Meinung, dass diese Art von Privatstudios typisch für die Entwicklung der Musik und der Technologie in den nächsten Jahrzehnten sein wird. "Use whatever mean is necessary - as long as you share your dreams."

Tim Souster
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