INVENTIONEN'84                                                                                              Sonntag, 12.2.1984
3. Konzert: Elektroakustische Musik aus Lateinamerika                                        18:00 Uhr
TU-Gebäude Ackerstraße


Kleine Geschichte der EM in Lateinamerika

Die Geschichte der elektroakustischen Musik stellt in Lateinamerika gewisse Besonderheiten dar. In ihr, wie auch in der E-Instrumentalmusik, werden die Spannungen zwischen dem Epigonismus als Folge einer immer noch kolonialen Kultur und der zunehmenden Notwendigkeit, einige {neue} Wege zu finden, reflektiert.
Die ersten elektroakustischen Arbeiten datieren 1956/57 und kommen aus Chile, wo - wie in Europa - der fruchtbare Einfluss Werner Meyer-Epplers zu spüren ist. Aber der europäische (und nordamerikanische) Begriff des "großen" Studios erschwert die Anregungen in dem wirtschaftlich mangelhaften lateinamerikanischen Milieu. Der Traum vom "großen" Studio verwirklicht sich erst 1963 in Buenos Aires. Die erste Komposition, die im "Centro Latinoamericano de Altos Estudios Musicales" des Torcuato-Di-Tella-Instituts entsteht, ist "Intensidad y Altura" von Bolaños. Etwas früher, 1960, wurde ein anderes ehrgeiziges Studio innerhalb der Staatsuniversität Buenos Aires gegründet, dessen schöpferische Ergebnisse jedoch erst einige Jahre später blühen. In diesem Studio wurde das Werk von Nova realisiert, ein Jahr vor seiner endgültigen Schließung. Das Studio des Torcuato-Di-Tella-Instituts wurde 1972 von der Stadtverwaltung gekauft und seine Tätigkeit dadurch stark reduziert. Diese Etappe wird in diesem Programm anhand der Kompositionen von Kusnir und Dianda repräsentiert.
Im Norden ist die Entwicklung der elektroakustischen Musik weniger linear. Die mexikanischen Komponisten interessieren sich wenig für die elektroakustische Arbeit, obwohl ihnen ein ausgestattetes Studio zur Verfügung steht, das 1972 - etwas später als andere - aufgebaut wurde. Die beiden Beispiele des heutigen Programms (Enriques und Estrada) stammen eben aus ausländischen Studios, genauer aus metropolitanischen Studios. Puerto Rico und Venezuela verfügen auch über Studios seit vielen Jahren, aber daraus ist sehr wenig entstanden. Das Stück von Ortiz wurde in den USA realisiert. Orellana entscheidet sich für eine Reflexion der technologischen Wirklichkeit seiner eigenen Umwelt, nachdem er sich in Buenos Aires ausgebildet hat. Seine schöpferische Kraft führt ihn zur Entwicklung einer Art "Gegen-Technologie" der Armut, die nicht zuletzt die Kenntnisse indianischer Instrumente gut verwendet.
Die Möglichkeiten eines kleinen Studios sind ebenfalls von Bértola und Paraskevaidis in verschiedener Weise ausgenutzt. Aharonian strebt seinerseits nach der Treue zur Ästhetik des "armen" Studios, indem er sich gegen die Möglichkeiten eines "großen" europäischen Studios stellt.


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