INVENTIONEN'83                                                                                              Donnerstag, 10.2.1983
6. Konzert                                                                                                            21 Uhr
TU-Gebäude Ackerstraße (Wedding)


Thomas Kessler

25.9.1937 in Zürich geboren. Nach germanistischen und romanistischen Studien an den Universitäten von Zürich und Paris folgen Musikstudien an der Staatlichen Hochschule für Musik in Berlin (H. F. Hartig, B. Blacher, E. Pepping). 1965 Gründung eines eigenen Studios für elektronische Musik in Berlin. 1968 Auszeichnung mit dem Berliner Kunstpreis für die junge Generation. In den folgenden Jahren Leiter des Berliner Electronic-Beat Studios sowie musikalischer Leiter des Centre Universitaire International de Formation et de Recherche Dramatiques in Nancy. Kessler ist auch mit Kursen für elektronische Musik (Universität Zürich; Berlin) und als Interpret am Synthesizer in Erscheinung getreten. Seit 1973 wirkt er als Lehrer für Theorie und Komposition an der Musik-Akademie Basel. Er lebt in Allschwil (Basel).
Kessler komponiert Instrumentalmusik verschiedenster kammermusikalischer Besetzung bis zu Orchesterwerken. Die vielfach eingesetzten elektronischen Mittel (Tonband, Synthesizer, Computer) sind seit 1973 immer mehr als Erweiterung der instrumentalen Möglichkeiten in Form einer Live- oder Instrumentalelektronik komponiert, die vom Interpreten selbst gleichzeitig gesteuert und gespielt wird. Seit 1981 arbeitet Kessler im eigenen Computerstudio und realisierte dort u.a. die Software für "Drumphony".

Instrumentalwerke

Konstellationen I Fl., Pos., Vc. u. Kl. (1965)
Vier Stücke Streichquartett (1965) GBR
Countdown für Orpheus var. Bes. (1966)
Musik für Flöte, Klavier und Tonband 1966
Konstellationen II Fl., Klar., V. u. Vc. (1967)
Revolutionsmusik Ensemble und Tonband (1968)
Trio V., Va., Vc. (1968) BBB
Smog Pos. und Orch. (1977) BBB; Bär. BM 30 SL 1715
Portrait New Phonic Art Ensemble (1971)
Aufbruch außereuropäische Instr. (1973)
Loop Bandschleife und diverse Instr. (1973)
Piano Control Kl. und Synthesizer (1974) BBB; Bär. BM 30 SL 1715
Lost Paradise Hf., Kl., AFl., EHn., Va., 2 Synthesizer (1975); HMF AM 821.10
Klangumkehr gr. Orch. (1975)
Dialoge 2 außereuropäische und 2 europäische Musiker und Vocoder (1977)
Violin Control V. u. Synthesizer (1978); HMF INA-GRM AM 821.10
Unisono 3 Klar. in B (1978) BBB
Pujaparwata Gamelan Ens. (1980)
Traumklang Ens. und Live-Elektronik (1981)
Drumphony Schlagz., Computer und Orch. (1981) BBB

 

"VOICES"

VOICES gehört zu einer Reihe von Klang- und Kompositionsstudien, die ich zur Zeit mit dem Fairlight-Musikcomputer realisiere. Es geht mir vor allem darum, den Computer als Musikinstrument mit seinen Möglichkeiten im Konzert zu erproben: gespeichertes Sprachmaterial wird durch vorbereitete Kompositionsprozesse abgerufen und verändert, gleichzeitig wird ein Teil der Partitur zusätzlich vom Interpreten gespielt, der auch die automatischen Programme, das heißt den gesamten Ablauf nochmals steuern und verändern kann.

"VIOLIN CONTROL"

Das Stück entstand im Sommer 1978 im Auftrag des Geigers Janos Negyesy. Verschiedene Erfahrungen mit Live-Elektronik schon früher als Interpret in Konzerten mit Live-Elektronik haben mir gezeigt, dass bei zunehmender Komplexität der elektronischen Mittel das klangliche Ergebnis zwar reichhaltiger und interessanter wird, dass eine klare Definition und Kontrolle des Materials aber immer schwieriger und deshalb oft dem mehr oder weniger glücklichen Zufall überlassen wird.
Diese Gefahr besteht vor allem dann, wenn der Interpretationsbereich - nur scheinbar zur Erleichterung - in verschiedene Aufgaben aufgeteilt wird, die wiederum von verschiedenen Personen ausgeführt werden, zum Beispiel: Instrumentalist - Synthesizerspieler - Klangregie im Saal. Anders als bei herkömmlicher Instrumentalmusik schafft hier die Live-Elektronik in einer Verkettung von Abhängigkeiten eine künstliche Hierarchie, in der der Instrumentalist mehr und mehr seine Kontrolle über das klangliche Ergebnis verliert und somit auch in seiner natürlichen Reaktionsfähigkeit beschränkt und manipuliert wird.
In "Violin Control" habe ich eine Reihe von Stücken (nach "Piano Control" und "Lost Paradise") fortgesetzt, in denen ich sehen wollte, wie weit ein Interpret diese Funktionen alle selbst wieder unter seine Kontrolle bringen kann, ohne dass dabei seine natürliche Spieltechnik und Reaktionsfähigkeit gemindert würde. Zu diesem Zweck wurde als Synthesizer ein relativ kleines und tragbares Modell von EMS in London (Synthi AKS) gewählt. Der Geiger soll beide Instrumente gleichzeitig spielen, seine Virtuosität auch auf den Synthesizer übertragen können. Auf diese Weise kontrolliert er zu Beginn jeden Parameter der möglichen Modulation mit einer Genauigkeit, die bei zwei Spielern unmöglich wäre.
Der herkömmliche Klang der Violine wird mit Hilfe eines Kontaktmikrophons abgenommen und durch den Synthesizer gesteuert, das heißt moduliert und verändert.


KARLHEINZ STOCKHAUSEN (geb. 1928)        
KONTAKTE


für elektronische Klänge, Klavier und Schlagzeug
Als Partitur existiert eine vereinfachte graphische Darstellung der elektronischen Musik mit einer Notation der Instrumentalpartien. Die "Kontakte" bestehen in zwei Versionen: einer vierspurigen für elektronische Klänge, deren einkanalige oder zweikanalige Fassung vor allem für Radioübertragungen und Schallplattenwiedergaben geeignet ist, und einer zweiten Version für elektronische Klänge, Klavier und Schlagzeug, bei der die elektronischen Klänge durch eine vierkanalige Lautsprecheranlage wiedergegeben werden und gleichzeitig zwei Instrumentalisten Schlaginstrumente und Klavier spielen. In dieser Fassung wurden die "Kontakte" am 11. Juni 1960 beim 34. Weltmusikfest der IGNM in Köln uraufgeführt.
Die kompositorische Idee bestand darin, elektronische Klänge mit dem Klang traditioneller Instrumente in einem Stück zu verbinden. Stockhausen begründete diese Problemstellung mit der Konzeption, in einem kontinuierlichen Klangverwandlungsprozess verschiedene Instrumentalfarben ineinander übergehen zu lassen; dabei sollte eine ständige "Klangaufhellung" erfolgen: dumpfe Geräuschpartien am Beginn des Stückes und helle, ätherische Klänge am Ende.
Zur Verwendung von Schlaginstrumenten kam Stockhausen aus verschiedenen Gründen. Erstens ermöglichen diese ein Maximum an Klangbreite. Außerdem kann der Farbklang innerhalb der Schlagzeugfamilie weit mehr modifiziert werden als bei irgendeiner anderen Instrumentenfamilie. Eine dritte Tatsache kam hinzu: das Schlagzeug ist das einzige traditionelle Instrument, das imstande ist, auf breiter Ebene sowohl Klänge wie auch Geräusche zu erzeugen. Und diese beiden Elemente sollten in den "Kontakten" eine wichtige Funktion erhalten.
Weitere Literatur zu KONTAKTE auf der Wergo-Platte, "Texte" Band II und "Texte" Band IV ("Die vier Kriterien der elektronischen Musik").



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