Klangkunst <-> Inventionen

Ursprünge der Klangkunst in Westberlin

Wie hat eigentlich alles angefangen mit der sog. Klangkunst in Berlin und wie steht es mit der Korrespondenz zum TU-Studio. Ich denke, dass man wirklich ein konkretes Jahr angeben kann, es ist das Jahr 1980: in Berlin lebten bereits Künstler, die sich mit Klangkunst, -objekten, -installationen und Performances beschäftigten und überwiegend aus der Bildenden Kunst kamen; und es gab Institutionen, die solche Aktivitäten förderten wie die von Rolf Julius, Martin Riches, Rolf Langebartels und seiner Galerie Gianozzo: die Akademie der Künste, das Künstlerhaus Bethanien, das Berliner Künstlerprogramm des DAAD (im Unterschied zu heute gab es kaum Galerien, die sich hier hervortaten). Der Eckpunkt dieser Entwicklung war die Ausstellung "Für Augen und Ohren" 1980 in der Akademie der Künste, kuratiert von Nele Hertling und René Block. Der Ausstellungskatalog stellt bis auf den heutigen Tag eine Referenz für unser Genre dar. - In den folgenden Jahren kann man einen rapiden Zuwachs an Klangkunstaktionen in Berlin erkennen; 1984 hat sich die Klangkunst in West-Berlin endgültig festgesetzt - auch in der TU Berlin!

Nach der Ausstellung "Für Augen und Ohren" praktizierte die Bauabteilung der TU mit seinem Leiter Gottfried Kupsch Kunstverstand: spätestens 27.1.1984 mit der Eröffnung des "Ton-Raumes" von Bernhard Leitner stand die Klangkunst mitten im praktischen Geschehen der Universität, sogar zentral in ihrem Hauptgebäude. Die Arbeit von Leitner wurde, und das ist einmalig, durch "Kunst am Bau" finanziert und von der TU-Bauverwaltung durchgesetzt und betreut. Draußen über der Straße des 17. Juni kreuzten sich derweil zwei Laserstrahlen und rückten den TU-Standort in einen optischen Zusammenhang zur Stadtarchitektur (der Realisator dieses Laserkreuzes war übrigens auch ein DAAD-Gast, allerdings arbeitete er im optischen Institut der TU). 1984 realisierte Bill Fontana nach  seinem DAAD-Stipendium "Entfernte Züge" auf dem damals leeren Gelände des Anhalter Bahnhofs (die 8 wetterfesten Lautsprecher befinden sich noch heute im Gerätearchiv des TU-Studios). Ab 1985 wurde das Wort Installation fester Bestandteil im Produktionsverzeichnis des Studios, übrigens auch verbunden mit Video (etwa die Arbeit "Die Macht der Simulation" 1984 für Doppel-Projektion von Born / Heine / Hein, Video-Installation im Künstlerhaus Bethanien).

EMhören (ab 1985)

An dieser Stelle passt auch ein kurzer Hinweis auf die Studioveranstaltung "EMhören", wo ich ab 1985 versuchte, in regelmäßigen Abständen (jeden Donnerstag 18h) Komponisten bzw. Klangkünstler vorzustellen, die an diesem Ort dem sachkundigen Publikum aus erster Hand berichten, ihre Werke kommentieren und vor allem ihre Musik vorführen können. Es verwundert nicht, dass ab 1987 Klangkünstler wie Robin Minard und Christina Kubisch zu Gast waren, denn sie arbeiteten bereits im Studio bzw. mit dem Studio zusammen in öffentlichen Veranstaltungen (z.B. E88). Weitere Klangkunstprojekte wurden nun regelmäßig erläutert: Rolf Langebarthels "Seilbahn"; Martin Rches diverse Soundmachines 1989. Später folgten Michael Schumacher und André Werner (1992), Götz Naleppa 1993, Klangfach 6 und Robin Minard 1994, Hildegard Westerkamp & Bill Fontana 1995, Francisco López & Christian Calon 1996, Francisco López & Nic Collins & STEIM & Sabine Schäfer 1997, usw.. Man kann leicht die Spuren erkennen, die die öffentlichen Veranstaltungen in der Lehre hinterlassen haben.

Klangkunst -
Synergie Elektronisches Studio der TU <-> Berliner Künstlerprogramm (BKP) des DAAD

Kommen wir kurz zurück. Alles in Allem waren in den 80er Jahren die Voraussetzungen für die Akzeptanz neuer Musik in Westberlin bestens gegeben, und das galt besonders für das Studio: personell durch ein aufgeschlossenes Team, verwaltungstechnisch durch eine aufgeschlossene Institutsleitung (damals Carl Dahlhaus und Manfred Krause), technisch durch eine akzeptable Ausstattung (1984 begann das Computermusikzeitalter des Studios durch die Schenkung einer VAX 11/780 der Firma DEC und damit auch Forschung & Lehre auf diesem Sektor). Und seit einigen Jahren fing die wichtigste Komponente an zu gedeihen: ein geregelter Kontakt zu Künstlern, speziell zu denen des Berliner Künstlerprogramms des DAAD, erweitert durch ein Forum, wo die Kunst zur Aufführung geriet: dem Festival Inventionen. Dieses Festival aktueller Musik wurde 1982 von DAAD und TU gegründet und öffnete sich bald auch den Klanginstallationen. Überhaupt fand eine allgemeine  wunderbare Öffnung in alle Kunst- und Medienrichtungen statt; im Studio trafen die Künstler Studenten der TU, HdK, dffb und FU, Schulklassen sowie interessierte Menschen aus der Stadt - etwa so, wie es in der Stadtkunstszene allgemein der Fall war. Berlin war inzwischen der Magnet für Klangkünstler aus aller Welt! Tragisch war der tödliche Unfall von Helga Retzer im August 1984, hatte sie  doch die Flut des Neuen gebracht und kultiviert! - Die Leitung der DAAD-Musikabteilung übernahm für einige Jahre René Block, der durch seine Fluxuserfahrungen die aufgeweckte Klangkunstlandschaft weiter beflügelte.

Hier ein tabellarischer Überblick über das Installations- und Performanceprogramm im Rahmen des Festivals  Inventionen, das vor allem für die DAAD-Stipendiaten ein Forum ihres einjährigen Berlin-Aufenthaltes war:

Bill Fontana

Sound surroundings, Klanginst. Ackerstaße

Inventionen 84

Bernhard Leitner

Ton-Raum-Variationen, TU-Hauptgebäude

Inventionen 84

Maryanne Amacher

The critical band - from "music for sound joined rooms", Ackerstraße

Inventionen 85

Rolf Julius

Klanginstallation in Halle F Ackerstr.

Inventionen 85

Martin Riches
Ackerstraße

Percussion Piece No. 1
Piece for Four Radios
Sound Machine

Inventionen 85

Henning Christiansen

"als die Sprache platzte und die Musik abfuhr - und der Mond erscheint"

Inventionen 86

Alvin Curran / W. Ridder / Cora

Walkman Berlin 1986, ein Radio-art-Spaziergang

Inventionen 86

John Driscoll

  a hall is all, akustische Installation, Ackerstraße

Inventionen 86

John Driscoll / Lerman

Sputtering energy (at 500 times the true size), Ackerstraße

Inventionen 86

Stephan von Huene

"die Zauberflöte", akustische Installation, Ackerstraße

Inventionen 86

Maryanne Amacher

"Music Rooms" in der daad-galerie, 1987

Musik im Februar

Ausstellung "Broken Music" in der daad-galerie Inventionen 89

Henning Christiansen

Umwälzung - fluxorum organum, EURASIENSTAB ist immer noch Angelpunkt (Beuys gew.), Künstlerhaus Bethanien

Inventionen 90

3 Installationen

Martin Daske "Folianten", Akademie der Künste
Joe Jones "music machines", daad-galerie
Joe Jones "The Music Store", Kunstverein Giannozzo

Inventionen 90

Alvin Lucier

"Klangskulpturen", daad-galerie

Inventionen 91

LaMonte Young / Marian Zazeela

Dream House: Sound & Light Enviroment / Magenta Enviroment
Eine Zeit-Installation, bemessen von einer Auswahl von andauernden Frequenzen in Klang und Licht; Ruine der Künste

Inventionen 92

3 Installationen

Christian Marclay, daad-galerie
Martin Riches "Linear Percussion", AdK
Stephan von Huene "Drum", AdK

Inventionen 94

Christian Calon

"The standing man", Ballhaus Naunynstraße

Inventionen 96

Robin Minard

"4 Räume", Konzertinstallation Parochialkirche

Inventionen 98

6 Installationen

in Berlin Mitte

Martin Riches / Tom Johnson, Parochialkirche
José Antonio Orts "comp. infinita", Rathauspassagen
Ed Osborn "recoil", Haus des Lehrers
Ron Kuivila "engel in erdton", Sophiensäle (Keller)
Christina Kubisch "Tafelmusik 2000" Sophiensäle, Hochzeitssaal
Wolfgang Mitterer "zeit vergeht", Sophienkirche

Inventionen 2000

Installation Parochialkirche

David Behrman (singuhr hoergalerie):
"Pen Light"
"View Finder"

Inventionen 2002

Installation daad galerie

Gordon Monahan:
"When It Rains"
"Etheric Theremin Harmonic" (Auftrag Inventionen)

Inventionen 2002

Installationen
Stadtbad Oderberger Straße

Robin Minard: "SoundBits 01" (IRCAM, N. Schnell), Auftrag Inventionen
Terry Fox: "Litanies of Interference" und "bad installation"
Hannah Leonie Prinzler: "_[’dzn]"

Inventionen 2002

Installationen
staatsbank berlin

Ron Kuivila: "Spark Vault", Auftrag Inventionen
José Antonio Orts: "Territorio Estelado", Auftrag Inventionen
Johannes Sienknecht: "reincarnation"
Ludger Hennig: "eisen fern"
Franz Martin Olbrisch e.a.: "I got involved in …", Auftrag Inventionen
Gerhard Eckel, e.a.: "Grenzenlose Freiheit"
Robin Minard / André Bartetzki e.a.: "Rumor", Auftrag Inventionen

Inventionen 2002

Installationen
sfb-Klanggalerie

Thomas Seelig e.a.: "Several Species…", Auftrag Inventionen
Ewa Chamerska: "Klangspiele"
Thomas Kusitzky: "Diva"
Inge Morgenroth & Beate Brinkmann: "Indoor - Outdoor"
Nico Franzke: "!singsing-birds!"
Yueyang Wang: "wo bin ich?"
Thomas Seelig: "was noch zu sagen wäre …"

Inventionen 2002

Ton-Raum TU Berlin

Bernhard Leitner mit täglich wechselnden Ton-Raum-Kompositionen

Inventionen 2002

singuhr hoergalerie

Paul DeMarinis: "Firebirds" & "Tongues of Fire"

Inventionen 2004

Sophienkirche

Sam Auinger & Bruce Odland (O + A): "Requiem for Fossil Fuels"

Inventionen 2004

Installation daad galerie

Agostino Di Scipio: "Ökosystemische Installation in einem kleinen halligen Raum"

Inventionen 2005

singuhr hoergalerie

Nicolas Collins: "Pea Soup" (in Zusammenarbeit mit singuhr)

Inventionen 2005

Hof am Tesla

Andres Bosshard e.a.: "GardenOfCodes",
3 telematisch wachsende Klanggärten berlin/köln/florenz

Inventionen 2005

Installation daad galerie

Robert Normandeau: "StrinGDberg" & "Eden" (deep listening room)

Inventionen 2006

Villa Elisabeth

Kotoka Suzuki / Claudia Rohrmoser: "kreisen", interaktive Videoinstallation

Inventionen 2006

4 Installationen Villa Elisabeth

Agostino Di Scipio: "o.T." (ökosystematische Klanginst.)
Hans Peter Kuhn: "undefined landscape 2"
Ed Osborne & stadtmusik: 6 Videoinstallationen

Inventionen 2008

singuhr hoergalerie Wasserspeicher

Sam Auinger e.a.: Klangspeicher (gr. Wasserspeicher)
Michael Moser: "Resonant Cuts" (kl. Wasserspeicher)
Akio Suzuki: "oto-date NA GI SA" (Wasserturmumgebung)

Inventionen 2008

TU Berlin Hauptgebäude

Bernhard Leitner: "Ton-Raum TU Berlin", Extra-Schleife für das Festival
Paul Modler e.a.: "sOUNDsPHERE-hOERkUGEL", HfG Karlsruhe

Inventionen 2008
SMC08

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Kommentar

Inventionen 2002 beinhaltete einen 14-tägigen Installationskomplex in einer vorher niemals so dicht veranstalteten Weise. Aus diesem Grunde lohnte die Herausgabe einer CD-ROM mit der Dokumentation aller Arbeiten (Erstellung Hanns Holger Rutz).
In einem geschichtlichen Kommentar heißt es:

14 Klang- und Multimedia-Installationen öffnen neue Räume und vernetzen die Veranstaltungsorte entlang der U-Bahnlinie U2 miteinander. Durch die Vielzahl der teilnehmenden Künstler und die Unterschiedlichkeit der Örtlichkeiten erschließt sich dabei ein ungewöhnlich breites Spektrum aktueller Klangkunst, was sowohl Ästhetik als auch Thematik betrifft.
So wirft Gordon Monahan in der daadgalerie mit computergesteuerten Wassertropfen die Frage nach dem Verhältnis von Technologie und Naturkräften auf. Während es weiterregnet, aktiviert Ron Kuivila im verdunkelten Tresorraum im Untergeschoß der Staatsbank seine Funkenharfen und bricht den perfekt funktionierenden Fluß elektronischer Informationen mit Hilfe chaotischer Systeme. Eine Etage höher setzt sich die Gruppe um Franz Martin Olbrisch mit der Staatsbank und seiner ehemaligen Funktion als Finanzzentrum auseinander. Die Äußerungen der Besucher dienen dabei als klangliches Ausgangsmaterial, dessen spezielle Ausformung durch die aktuellen Börsendaten gesteuert und transformiert wird. Im Hauptgebäude der TU gibt es im Rahmen der Inventionen Sonderpräsentationen von Bernhard Leitners Ton-Raum. Mit 576 Lautsprechern installiert Robin Minard im leeren Schwimmbecken des Stadtbads Oderberger Straße eine Vielzahl unabhängiger Klangquellen, die sich wie Pixel auf einem Computerbildschirm verhalten und Klangbilder erzeugen, die sowohl auditiv wie visuell erlebbar sind. Im Heizraum des Stadtbads, wo vorher das Wasser mit Kohle erhitzt wurde, sorgt nun Terry Fox für die nötige Wärme, indem er seine aus verschiedenen Metallröhren bestehenden Instrumente mit Flammen aus Butangas antreibt.

Ab dem Jahre 2002 kooperierte Inventionen mit der singuhr hoergalerie und bot ein noch breiteres Spektrum von Klangkunst an; es kam die Zeit, wo Klangkunst im weitesten Sinn von allen Veranstaltern zeitgenössischer Musik in Besitz genommen wurde, auch in Witten, Donaueschingen, bei Maerzmusik; Klangkunst wurde alsbald Teil von Museumskonzepten und -einkäufen, wurde Teil in der Stadtlandschaft und draußen in den Wäldern, in Parks, am Meer. - Ich denke, dass Inventionen eng damit zu tun hat!

Folkmar Hein, Ende 2008